Demonstration schwäbischen Selbstbewusstseins
Aber die Teilnehmer aus dem Bodenseegau erlebten beim Landesfest in Sigmaringen auch tolle internationale Folklore
„Die Atmosphäre ist wunderbar für die Seele“ zitierte die „Schwäbische Zeitung“, die per Extrablatt vom Landesfest des Schwäbischen Albvereins berichtete, einen Wanderfreund aus Riedlingen. In der Tat: Sigmaringen, das war ein Meilenstein in der über 100-jährigen Geschichte des SAV. Das dürften auch die Mitglieder aus den Ortsgruppen des Bodenseegaues so empfunden haben, die das Fest genossen haben, an ihrer Spitze Gauvorsitzender Gerd Müller. Das Maiwetter am Festsonntag war besser als vorhergesagt und ließ fast keinen Wunsch offen. Der Frühling überbot sich selbst. Und das Programm in Sigmaringen mit der historischen Altstadt als großartiger Kulisse konnte sich sehen lassen. Schade nur, dass der Bahnstreik wohl nicht wenige Wanderfreundinnen und -freunde davon abgehalten hatte, sich nach Sigmaringen aufzumachen.
Dabei hätte der Omnibus, den die Ortsgruppe Wilhelmsdorf organisiert hatte und der in Pfullendorf Zwischenstation machte, noch etliche Mitfahrerinnen und Mitfahrer aufnehmen können, denn er war nicht voll besetzt. Doch von der Ortsgruppe Pfullendorf hatte es ein gutes halbes Dutzend Festbesucher vorgezogen, die kurze Anfahrtsstrecke mit dem Auto zurückzulegen. Wer aber auf die Bahn gesetzt hatte, kam auch rechtzeitig ans Ziel, jedenfalls schafften das die Ravensburger. Die Ortsgruppe Weingarten war schon am Festsamstag angereist.
Zweifellos war auch dieses Landesfest wieder eine Demonstration schwäbischen Selbstbewusstseins, das sonst mitunter noch zu schwach entwickelt zu sein scheint, jedenfalls, wenn man zum Vergleich die vor Selbstbewusstsein geradezu strotzenden bayerischen Nachbarn heran zieht. Das Landesfest lieferte aber auch einmal mehr den Beweis dafür, dass der Schwäbische Albverein offen ist für Brauchtum im benachbarten Ausland. Und so tanzten, sangen und musizierten auf den drei Bühnen in der Altstadt nicht nur die hinreißende Albvereins-eigene Volkstanzgruppe Frommern (bei Balingen), dass die Zöpfe und Trachtenröcke der Mädchen nur so flogen, sondern auch Gastgruppen aus Polen und Ungarn und sorgten so für internationales Flair der Großveranstaltung. Und das alles auf einst fürstlich-hohenzollernschem und später preußischem Boden! Das Publikum war hingerissen und geizte nicht mit Applaus.
Gewandert wurde im Rahmen des Landesfestes natürlich auch wieder. Gerlinde Kretschmann, die Frau des Ministerpräsidenten und bewährte Führerin beim Albverein, dürfte eine große Gruppe angelockt haben. Aber die Ortsgruppe Wilhelmsdorf zog es vor, für sich und andere Interessierte aus dem Bodenseegau eine eigene Wanderung anzubieten, wohl wissend, dass die offiziellen Wanderangebote bei den Landesfesten oft von zu vielen Leuten genutzt werden, so dass sich zu große Gruppen ergeben. Und so zogen unter der kundigen Führung von Gerd Müller und Hartmuth Dinter, Vorsitzender der Ortsgruppe Pfullendorf, knapp 20 gutgelaunte Wanderfreundinnen und -freunde von Krauchenwies drei Stunden lang etwa zehn Kilometer durch die stillen fürstlichen Parks von Krauchenwies bis nach Sigmaringen, während der Bus diejenigen, die schlecht zu Fuß sind, direkt dorthin brachte. Zartes Maigrün, wohin das Auge blickte! „Die Eber sind sehr angriffslustig“ warnte Hartmuth Dinter die Gruppe, als sie über eine Leiter in das eingezäunte fürstliche Jagdrevier „Josefslust“ kletterte, wo fürstliche Herrschaften einst ihrer Jagdlust frönten und wohl auch heute noch frönen. Von Wildschwein-Attacken konnte freilich keine Rede sein, denn die Tiere sind nachtaktiv. Grandios: Der Ausblick auf Schloss und Stadt Sigmaringen von der Josefskapelle aus. Danach stieg die Wandergruppe ab und stürzte sich ins Getümmel, nahm teilweise auch am traditionellen Wimpelzug durch die Altstadt teil, der freilich früher begann als angekündigt, weshalb sich mancher Wanderfreund zu spät auf dem Aufstellungsplatz bei der Stadthalle einfand. Etliche Gäste nutzten die günstige Gelegenheit und nahmen an einer vorzüglichen Stadtführung oder einer Schlossführung teil. Hohenzollerische Kürassiere ließen im Festzug hoch zu Ross Geschichte des einstigen Fürstentums lebendig werden.
Zum Landesfest gehörte natürlich auch wieder die SAV-Hauptversammlung. Auch ein gut besuchtes „Danzfescht“ in Kleidern aus dem Jahr 1900 stand auf dem Programm. Eine Riege um den Obmann des Oberen Donau-Gaues, der das Landesfest organisiert hat, Claus Bayer und seinen Vorgänger Willi Rößler spielte Theater. Und für die Kinder war allerhand geboten.
Apropos Kinder, Jugendliche und Familien: Dass diese Nachwuchs-Arbeit schwierig, aber nicht unmöglich ist, bewies die Familienwandergruppe Sigmaringendorf um Initiator Hermann Brodmann, die fast komplett mit 23 Kindern und 18 Erwachsenen präsent war. (gp)